Mittwoch, 31. August 2011

Zukunft wird Gegenwart

Nun ist es also endlich soweit: nach Wochen des Organisierens, Ausmistens und Verabschiedens sind wir endlich gen anderem Ende der Welt gestartet. Von unserem Reisebüro haben wir nicht mehr in die Hand bekommen als einen A4-Zettel mit dem Reiseplan Frankfurt-Seoul-Sydney. Etwas skeptisch, ob damit auch wirklich alles reibungslos funktionieren würde, checkten wir am Korean Air-Schalter ein und reservierten sogar legere Plätze mit Beinfreiheit am Notausgang.

Dann begann das Warten – daran würden wir uns noch gewöhnen müssen. An Bord wurden wir von gut gelauntem Personal empfangen und in einen wichtigen Aspekt der koreanischen Kultur eingeführt: Reinlichkeit. Es gab (parfümierte) Schlappen für die Füße, eine eingeschweißte Zahnbürste und Zahnpasta.

Der Flug gestaltete sich dank des erstklassigen Services und eines ausgefuchsten Unterhaltungssystems als kurzweilig. Jeder Passagier hatte einen eigenen Touchscreen zum individuellen Filme gucken oder Musik hören, zum Nachrichten lesen oder Videospiele daddeln. Wenig Schlaf, einige Filme und mehrere Runden Tetris und Pacman später landeten wir gegen 12 Uhr Ortszeit am internationalen Airport Seoul-Incheon. Mit zusammengerechnet etwa 70 Kilo Gepäck schleppten wir uns zur Metro, einer futuristisch anmutenden U-Bahn mit weißem Fußboden und standardmäßigem Wifi. Ein netter Kerl, der, wie wir erfuhren, bei Asiana Airlines als Techniker arbeitet, hatte uns beim Ticketkauf und der Wahl der Route durch das Verkehrsnetz geholfen und kommentierte nun die zahlreichen Neubauten und Baustellen auf dem Weg, darunter der gigantische Incheon Tower, ein Landrückgewinnungsprojekt und die ewig lange Incheon Bridge. Bereits hier wurde uns das Ausmaß der Metropolregion dieser Megacity, die etwa 10 Millionen Einwohner zählt, deutlich. Gigantische Trabantenstädte säumen den Weg vom Incheon International Airport in Richtung Stadtzentrum, an jeder Ecke wird gebaut: Straßen, Brücken, Wolkenkratzer. Unter 20 Stockwerken geht hier gar nichts. „More than 25 million people live in the region“, so unser Begleiter – dass es dabei im öffentlichen Nahverkehr so gesittet, rücksichtsvoll und sauber zugeht, hat uns überrascht. Vom Boden des Airport Express hätte man bedenkenlos essen können.

Das von uns gebuchte Jelly Hotel im Stadtteil Gangnam-gun entpuppte sich als ein – ja gut, irgendwo war in einer Kundenbewertung auch von „love hotel“ die Rede – Stundenhotel. Die Gäste fahren hier mit ihren Autos in eine sichtgeschützte Garage und checken am Empfang, d.h. einem winzigen Fenster, hinter dem jemand sitzt, ein. Im Zimmer: keine Spur vom angekündigten Whirlpool und so recht mit den bei booking.com eingestellten Fotos will das Ambiente, aus dem ich Euch schreibe, auch nicht übereinstimmen. Ich sag nur: schwarz gestrichene Fenster. Dafür sind die Fernbedienungen des riesigen Plasmabildschirms und der Raumtechnik in Einwegfolie eingewickelt.


Nach ein paar Stunden Schlaf und der verwirrten Frage, ob es denn jetzt 7:30 morgens oder abends sei, entschieden wir uns für einen kleinen abendlichen Stadtteilrundgang. Gangnam-gu ist der Banken- und Shoppingstadtteil Seouls – und das merkt man nicht nur an den Straßenschluchten säumenden Bürogebäuden und ihren Feierabend begießenden Schlipsträgern, sondern an der Sintflut an Werbeanzeigen, Monitoren, aufgerissenen Musikanlagen und allgemeinem Trubel.


Stadtpläne werden hier nicht einfach auf Papier in einem Glaskasten aufgestellt, man findet sie als Google Maps-Applikation in spacig leuchtenden Säulen. Jeder zweite, egal ob jung oder alt, starrt beim Gehen auf sein Smartphone, telefoniert oder hört Musik. Überall flitzen Animationen über die Glasfassaden, es leuchtet und glitzert an allen Ecken und Enden.


Zwischen koreanischen Modeketten, asiatischer Gastro, Banken und Kiosken immer wieder: McDonald’s, Burger King, Dunkin‘ Donuts. Aber vor allem italienisch anmutende Cafés, „Beer Factorys“ und französische Bistros. Europa und der westliche Lebens- und Konsumstil scheint hier groß im Kommen zu sein, und das sieht man auch an der von unserer nur marginal unterschiedlichen Mode, der Creme für „weißere Haut“ im Hotelbad und der Schönheits-OP-Werbung für kaukasischere Gesichtszüge.